Mit Plünderungen und Pogromen suchten deutsche Bürger immer wieder ihre jüdischen Nachbarn heim. Der Kupferstich erinnert an Ausschreitungen in der Frankurter Judengasse 1614.

 

 

Neid als antisemitische Komponente

 

Christian Heinrich Zimmermann

 

Der antisemitische Neid und Hass hatte ökonomische, ethische, religiöse, soziale, sozialpsychologische und sexualökonomische Komponenten.

  

Die Wissenschaft hat in der Literatur über den Begriff NEID im Zusammenhang mit Antisemitismus verschiedene Phänomene zur Verfügung gestellt.

 

Den aus wirtschaftlicher Sicht mit Sozialneid begründeten Antisemitismus untersucht der Berliner Historiker Götz Aly  und belegt dies mit Beispielen von dem erfolgreichen Juden, der vom besitzlosen Deutschen beneidet wird.

Hinzu treten aber auch rein wirtschaftliche Komponenten, die z.B. die Legende mit dem angeblich jüdisch dominierten Bankwesen ( basierend auf mittelalterlichem jüdischen Kredit- und Zinswesen).

Dies wird ergänzt durch die jahrhundertealten ständischen Regeln, durch die Juden aus bestimmten Handwerksberufen ausschlossen, bzw. in Branchen gedrängt wurden, die als „unrein“ galten, z.B. Handel mit Schlachteabfällen, Gerben.

 

Des Weiteren  wurden aber auch jüdische Unternehmer ab dem 18. Jahrhundert als Finanziers hinzugezogen oder beauftragt Herrschaftshäuser zu beraten. Das umfasste Fiskal- und Währungsfragen genauso wie Handel- und Finanzierungsprobleme des 19. Jahrhunderts. Der damit einhergehende Liberalismus in der Gewerbeordnung kam den jüdischen Unternehmern entgegen und begünstigte ihre Erfolge durch innovative Modelle.

 

Der ethnische oder rassistische Antisemitismus behauptet, dass die Juden eine eigene Rasse mit charakteristischen Merkmalen bilde. Die inzwischen gebrandmarkte  Rassenlehre ist ein „Wissenschaftszweig“ mit chauvinistischen Bezügen und nationalistischen Hintergründen der europäischen Nationenbildung und der daraus entstandenen Ideologie der konkurrierenden Rassen um die Weltherrschaft. Die damit verbundene Klassifizierung als verschieden zu wertende „Rassen“ verursachen Ausgrenzung bis hin zum Vernichtungswahn „minderwertigen Lebens“ , dass aber auch sexuelle Minderheiten oder Kranke und Behinderte umfassen kann und während des deutschen Nationalsozialismus  im Holocaust und in der Euthanasie realisiert wurde.

 

Den religiös begründete Antisemitismus ist eine interne Auseinandersetzung innerhalb der monotheistischen Religion. Besonders das Christentum macht die Juden zum Mörder des Religionsstifters Jesus Christus, dessen Existenz weder historisch nachgewiesen noch als Ideengeber belegt ist. Trotzdem bescheinigt der Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud in seinem  für die Antisemitismusforschung zentralen Werk „Der Mann Moses und die monotheistische Religion (1939)“ dem Judentum das Alleinstellungsmerkmal des „Ausgewählten Volkes“ und dem daraus abzuleitenden Unwillen zur Missionierung, was unter den monotheistischen Religionen einer narzisstischer Kränkung gleichkäme. Darüberhinaus würde diese Erklärung bei den Feinden der Juden als Anspruch auf die Weltherrschaft missdeutet und bis in die Schmähschrift und Fälschung des „Protokolls der Weisen von Zion“ missbraucht, obwohl das Judentum selbst diesen Anspruch längst aufgegeben hat. Dieser stigmatisierende Antisemitismus zieht über das gesamte Mittelalter massive Verfolgung und Pogrome nach sich und zeigt sich bis heute in der europäischen und muslimischen Judenfeindlichkeit, die selbst die Existenz des Staates Israel bedroht, weil er ein jüdischer Staat ist.

 

Der sozial begründete Antisemitismus findet sich in der zwischenmenschlichen sozialen Auseinandersetzung. Antisemitismus kann sich in versteckten Andeutungen, diskriminierenden Aussagen oder Handlungen, verbalen Beleidigungen oder körperlichen Übergriffen äußern. Das reicht von Schimpfworten über Witze, die Verwendung von Bildern und Symbolen bis zu ideologischer Hetzrede und Hassparolen mit Vernichtungsphantasien. Selbst mit jugendkultureller Rhetorik kann von SchülerInnen mit einer gezielten Provokation Antisemitismus reproduziert werden.

 

Der sozialpsychologisch begründete Antisemitismus lässt sich ohne Wilhelm Reichs „Massenpsychologie des Faschismus“ nicht denken. Als erster durchschaute der Psychoanalytiker  Reich schon 1933 den Zusammenhang zwischen der autoritären Triebunterdrückung in kleinbürgerlichen Milieus und der faschistischen Ideologie der rassistischen Auslese und Überhöhung des Ariers über die „minderwertigen“ Juden u.a.

 

In psychoanalytischen Publikationen hat Andreas Peglau nur zwei inhaltlich identische Stellen gefunden, die belegen, dass der Nationalsozialismus noch vor seiner „Machtergreifung“ thematisiert wurde – und zwar von Wilhelm Reich. Es gab ansonsten so gut wie keine deutschsprachigen Beiträge, in denen die bedrohliche politische Entwicklung sowie die Verfolgung der Juden auch nur angerissen wurden. Auch in amerikanischen Zeitschriften fand Peglau bis 1941 nahezu keinerlei Beiträge hierzu. Auch keine Aufsätze, in denen das Wort „Faschismus“ mit offener Kritik verbunden, erwähnt, geschweige denn gegen die Vertreibung der Juden protestiert wurde. Andreas Peglau: Unpolitische Wissenschaft? Wilhelm Reich und die Psychoanalyse im Nationalsozialismus. Gießen (Psychosozial Verlag), 635 S.,

 

Die sexualökonomische Komponente ist bei Reich aber auch im Werk  aktueller Autoren wie Gerhard Henschel mit seinem 2008 erschienen Buch „Neidgeschrei“  eine Erklärung des Antisemitismus. Bei Henschel spielt der sexuelle Neid ein Hauptmotiv der Judenfeindschaft. Henschel trifft in seiner Recherche immer wieder auf die gleiche boshafte Unterstellung, die Juden könnten es nicht lassen, sich sexuell zu vergnügen, nichtjüdische Frauen zu verführen und die guten Sitten zu verderben. Dieser Sexualantisemitismus existiere schon seit 2000 Jahren.

 

Bei Wilhelm Reich findet sich das Thema in einer anderen Weise, indem er die frühkindlichen Sexualität und dem damit tradierten Umgang autoritärer Gesellschaften der Triebunterdrückung und damit verbundenen Ausschaltung einer gesunden Libidoerfahrung formuliert. Er überträgt seine aus den klinischen Studien stammenden Erkenntnisse über das Individuum in die Gesellschaft und analysiert anhand der Gestik, der Phraseologie, den moralischen Schemata und den Aktionen der „Hitlerei“( wie Reich den Nationalsozialismus nennt), wie z.B. die Boykottaufrufe und schweren Straftaten und erzwungenen Schließungen jüdischer Geschäfte auch schon vor 1933 den Neid und den Hass deutscher Kleinbürger , aber auch der Bürger aus dem Mittelstand. Diese waren nicht nur sozialpsychologisch durch die wilhelminische Gesellschaft geprägt, sondern oft auch durch die Selbstwahrnehmung oder vermeintliche Erfahrung, Verlierer der gesellschaftlichen Umstände zu sein.

 

Freud und Reich waren sich darin einig, dass die Erhöhung des diktatorischen Führers  durch die Massen mit der eigenen Minderwertigkeitserfahrung und Wahrnehmung und deren Überwindung mit der Identifizierung zu tun hat. Die Idee des Volkskörpers,  des „Fasces“ als Resultat der gleichförmigen und zusammengeschnürten Glieder ist nicht das Ergebnis der Dummheit der einzelnen Glieder , sondern der Wunsch nach sexueller Lustbefriedigung und familiärer Geborgenheit. Entgegen der Abhängigkeit entsteht bei Reich das Gefühl der gemeinsamen Verantwortung für das Ganze. So wird aus der Erniedrigung eine Erhöhung. Daher konnte Reich auch größeren Menschengruppen zubilligen, mehr zu sein als gleichgeschaltete Handlanger eines Alleinherrschers.

 

Im Weiteren arbeitete Reich heraus, dass die psychischen Faktoren, auf denen der Erfolg der Faschisten beruhte, nicht in angeborenen Todestrieben und bedingungsloser Opferbereitschaft bestanden, sondern in seelischen Strukturen, die seit Jahrhunderten systematisch erzeugt wurden – insbesondere durch Kirche, Kleinfamilie und Sexualunterdrückung.

 

Reichs Gedanken finden ihre Fortsetzung in dem Werk des Psychoanalytikers Hans Kilian, bei dem der Autor 1972-78 ein komplettes psychoanalytisches Studium inclusive der Ich-Analyse verbrachte.

Kilians Gedanke war, „dass es ein fundamentales menschliches Bedürfnis nach Komplexitätsreduktion, nach Vereinfachung gibt, das bei Überstimulation besonders vehement auftritt. Es übernimmt die Führung wie eine Notfallreaktion. Komplexität, die sich steigert, schafft Konfusion und Verwirrung, die in der Weimarer Zeit in der Tat in kollektivem Ausmaß gegeben war. Die Komplexitätsreduktion im kollektiven Leben kann durch Schaffung von Ordnung, von Einheit mit Disziplinierung erfolgen und notfalls – wie es die Tradition in der Herrschaftskultur war – durch Kriege, verbunden mit der Tötung von Menschen. Kriege waren in früheren Zeiten unter Umständen Ventile für Gesellschaften, die mit der Komplexität ungelöster kollektiver Probleme belastet waren. Man verfällt in ein polarisierendes, vereinfachendes Freund/Feind-Denken (begleitet von den Schuldzuweisungen wie 'Die Juden sind an allem Schuld'), das dazu dient, die Komplexität zu reduzieren."[1]

 

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[1]

Hans Kilian, 1921-2008. 1971 bis 1984 Ordinarius für Sozialpsychologie und Angewandte Psychoanalyse an der späteren Universität Kassel.Er setzte sich dort für die Etablierung der Psychoanalyse in verschiedenen Studiengängen ein (insbesondere in der Lehrerbildung). 1979 wurde Kilian zum geschäftsführenden Direktor des von ihm mitbegründeten Wissenschaftlichen Zentrums für das Studium der Psychoanalyse, Psychotherapie und Psychosozialen Hygiene ernannt. Ziel dieses Zentrums war es, die psychische Entwicklung des Menschen im sozialen und kulturellen Kontext als interdisziplinäres Anliegen zu untersuchen. Dieses interdisziplinäre Anliegen entsprach damals nicht dem vorherrschenden akademischen Zeitgeist.

 

Der Autor wird im folgenden versuchen , diesem interdisziplinären Ansatz zu folgen und die Thesen des Neides als antisemitische Komponente der Judenverfolgung in Göttingen an Beispielen zu belegen.

 

 

 

Zum Leben der Familie Hahn in Göttingen und Hamburg unter dem boshaften Verhalten eines Teils der in der NSDAP und SA organisierten Göttinger Bürger, der Bediensteten  in der Stadtverwaltung und den Beamten der Finanzämter und Behörden.

 

Bei dem Göttinger Historiker Bruns-Wüstefeld findet sich in dem Buch „lohnende Geschäfte“ aus 1997 ein umfangreiches Kapitel zum Leben der Familie Gräfenberg in Göttingen, die als jüdische Kaufhausbesitzer und Betreiber Gegenstand einer langwierigen und boshaften  „Bearbeitung“ durch die Behörden waren, trotz der „Arisierung“  den Holocaust in Göttingen überstanden und nach 1945 entschädigt wurden. Sie galten im Bewusstsein der meisten Bürger als „gute Juden“. Auch andere jüdische Geschäftsleute und die „Arisierung“ ihrer Geschäft finden sich in dem Buch von Wüstefeld. Leider sind seine Nachweise nicht immer belegt.

 

Auch die erheblich erfolgreichere Familie Hahn war Teil der jüdischen Gemeinde und ein anerkannter Teil des Mittelstandes in Göttingen mit einem großen Immobilienbesitz , zwei großen Firmen und mehreren Beteiligungen an nichtjüdischen Firmen, mussten aber schon in den Jahren zwischen 21 und 33 Widerstand,  Neid und Hass erfahren. Aber nach 1933 und besonders mit der Reichskristallnacht 1938 erlebten die Ehepaare Hahn eine außergewöhnliche Boshaftigkeit und unmoralisches Verhalten. Dazu sollen  Beispiele belegen, wie die antisemitischen Komponenten wirkten und die Familie zermürbten und die Kindesgeneration aus dem Land trieb, wie die Behörden das Vermögen verschob, vernichtete,  entjudete oder staatlich einzog. Letztendlich wurden trotz aller Bestrebungen der Eheleute Hahn, in Deutschland bleiben zu können und zu retten, was zu retten schien, bitter enttäuscht, sie wurden noch im hohen Alter als gut situierte Bürger deportiert und ermordet.

Auch ihre Geschichte findet sich bei Wüstefeld. Doch neben den aus den Restitutionsakten stammenden Hintergründe sind doch einige Fragen und Belege offen geblieben. Die bisherigen Untersuchungen sind geprägt von der gerichtlichen und gesellschaftlichen Klärung der Schuldfrage und der Klassifizierung der sogenannten Nutznießer.

 

In der Forschung brauchen wir heute einen ganzheitlichen Ansatz. Dem dient nun dieses Analyse der Hintergründe aus möglichst vielen Sichtweisen. Dazu gehört nicht nur die Erfassung der Opfer und der Täter , sondern auch eine differenzierte Sichtweise auf die gesellschaftlichen Entwicklungen und das Individuum als Teil der Interaktionen.

 

Raphael Hahn kam 1858 aus Rhina nach Göttingen , erhielt die Bürgerschaftsurkunde und meldete sein Felle- und Häutehandel an. Laut der Familienchronik der Familie Hahn von 1933 zum 75. Bestehen der Firma etablierte sich das Geschäft großartig und ermöglichte den Kauf des Stammhauses (Weenderstrasse 60) in der Innenstadt. Erst der Einstieg der Söhne Nathan (1888) und Max Rapael (1896) brachte eine neue geschäftliche Expansion. Mit den sehr unterschiedlichen Charakteren ergaben sich neue Ansätze. Nathan, der deutlich älter war, übernahm die Buchhaltung und die Konsolidierung , Max Raphael war der innovative Geist und Motor der Prosperität. Nathan verblieb in der Tradition seines orthodoxen Vaters, während sich Max zum säkularisierten Juden und freigeistigen mittelständischen Unternehmer entwickelte. Als Außendienstler des Häutehandels war er viel im Reich  bis auf den Balkan und  in Frankreich unterwegs und erarbeitete sich ein Netzwerk im Leder- und Häutehandel, dass ihn  1916 in die leitende Position der Lagerhaltung der Reichsleder AG in Leipzig katapultierte. Neben diesem Erfolg war er auch noch intellektuell bewandert und in den weltweiten Erfordernissen eines schwierigen Geschäftes zuhause. Er verband aber auch den Erfolg für die Lederbranche und den Staat als Abnehmer seiner Leistungen mit den familiären Vorteilen, indem er seine Einkünfte in Immobilien in Göttingen investierte und Beteiligungen in arische und jüdische Firmen steckte. Damit machte er sich und seine Familie und deren Vermögen krisenfest. Die Weimarer Zeit war geprägt von großen Möglichkeiten innovativen Unternehmertums, stellt dasselbe aber auch vor fiskalische Probleme aller Art, insbesondere dem Zerfall der Sicherheiten und der Währung.

Max Raphael Hahn sah die Chancen und nutzte sein Portfolio ausgiebig, um familiäre und wirtschaftliche Stabilität zu erzeugen. Dieses Bestreben korrespondierte mit seinem Aufstieg in der bürgerlichen Gesellschaft einer Universitätsstadt mit einem ausgeprägten Teil handwerklicher Betriebe und Handelsniederlassungen. Die jüdischen Teile der Stadtgesellschaft erfreuten sich dabei großer Freiheiten , aber auch großer Anfeindungen.

 

Nathan und Max Hahn sahen sich seit der Regierungsübernahme der Nationalsozialisten im Reich in Göttingen von Anfang an einem starken Verfolgungsdruck ausgesetzt. Das hing damit zusammen, dass sie in der jüdischen Gemeinschaft eine führende Rolle spielten und über ein Vermögen verfügten, das sichtbar war: Sie besaßen nicht nur an der Weender Landstraße ein 15000qm  großes, gewerblich nutzbares Grundstück, die ehemalige Zuckerfabrik mit Gleisanschluss, auf dem sich inzwischen auch mehrere andere Gewerbebetriebe angesiedelt hatten und eine Anzahl von Pächtern ihre Geschäfte Betrieb. Der größte Pächter war die Heeresstandortverwaltung. In der Stadt selbst und vielfach in bester Lage besaßen die Brüder Nathan und Max mehrere Dutzend Häuser und unbebaute Grundstücke.

Angesichts der seinerzeit üblichen Preise konnte man das Vermögen der Hahns auf mindestens 2 Millionen Reichsmark (heute über 50 Millionen Euro) veranschlagen. Die Göttinger Bürger, die angesichts dessen Neid empfinden mochten, wussten nicht, dass der Immobilienbesitz der Hahnfamilie mit Hypotheken belastet war, die man aufgenommen hatte, um vielfältige Investitionen zu tätigen und die Folgen der Wirtschaftskrise zu bewältigen. Der Neid fußte aber auch auf der Erfahrungen von Bürgern, die durch eigenes Missgeschick in Verbindung mit der allgemeinen schwierigen Lage, besonders dem Währungszerfall bis 25 ihre Häuser, Grundstücke oder Betriebe oder Anteile verkaufen mussten. Hinzu kamen Personen oder Unternehmer, die dringend Kredite brauchten, um sich über Wasser halten zu können. So kam es schon 1921 zum Einstieg des Max Hahn in die Schuhfabrikation Suchfort in Göttingen. 1926 übernahm dann sein Bruder Nathan den Rest und sie gründeten die Schuhfabrik Gallus Schuhfabrik GmbH.

 

Die „totale Krise“ der Weimarer Republik nach 1930 basierte auf wirtschaftlicher Instabilität , aber auch aufgrund der Politik der Präsidialkabinette auf einem Vertrauensverlust in die Demokratie, der von den radikalen Gruppierungen der Rechten und Linken befeuert wurde. Dies spiegelte sich nur im Parlament, sondern auf der Straße, in zahlreichen Formen der Gewalt bis hin zu politischen Morden und wirtschaftlichen und privaten Auseinandersetzungen in der Gesellschaft selbst.

 

An den schwierigen Verhältnissen der Zeit zerbrachen auch Geschäfte und Familien.

 

Dies lässt sich auch in den Städten feststellen. Der Häusermarkt in Göttingen unterlag in den 1920iger Jahren einer großen Fluktuation. Städtische Bauprojekte trugen zur außergewöhnlich hohen Verschuldung bei, Preise schwankten, Werte waren fragil und die Steuern kletterten. Die Bewältigung dieser Krise wurde mit den politischen Möglichkeiten der Demokratie verknüpft und polarisiert, wozu auch die Zeitungen (Göttinger Tageblatt auf der rechten und Göttinger Zeitung aus der bürgerlich liberalen Seite) beitrugen. Der politische Antisemitismus der völkischen nationalistischen Kreise schuf  einen kulturellen Code der Schuldzuweisung an das Judentum mit der Niederlage im Weltkrieg I beginnend bis zum sozioökonomischen Niedergang.

 

Dem Erfolg jüdischer Unternehmer in Göttingen (1929, 73 jüdische Firmen)entsprach der wissenschaftliche Erfolg der Universität. Die Göttinger Universität glänzte weltweit mit den Erkenntnissen der Relativitätstheorie, der Quantentheorie und der Quantenmechanik. Auch hier entstand Neid an dem Erfolg und die Kritik entfaltete rassistische Züge unter der nichtjüdischen Proffessorenschaft. Mit dem Niedergang der bürgerlichen Parteien gerade auch in Göttingen eröffnete die NSDAP und die Hitlerideologie den Bürgern die Idee der „Volksgemeinschaft“, also die Chance für diejenigen, die sich in prekären Lagen befanden, ein Angebot der Zugehörigkeit und Teilhabe am neuen Aufschwung der Nation zu erhalten. Die Einteilung in Zugehörige und Nicht-Zugehörige suggerierte soziale Aufstiegsmöglichkeiten verteilt nach rassistischen Merkmalen.

 

Max Hahn stand auf der Seite des liberalen Bürgertums, dass die Politik der Weimarer Republik dominierte. Er war nicht nur mit Bruder Nathan und Gräfenberg und seinem Familiennotar und Rechtsanwalt Föge ( Abgeordneter der DDP) u.a. an dem liberalen Verlagshaus Hofer beteiligt, sondern prägte auch dessen Ausrichtung, insbesondere der „Göttinger Zeitung“. Sehr oft schrieb er das Protokoll der Gesellschafterversammlung und gestaltete die Diskussion um die Ausrichtung des Blattes mit der größten Auflage in Göttingen.

 

Aber auch in den intellektuellen Kreisen lies er sich sehen, unterstützt von seiner aus Halberstadt stammenden Ehefrau Gertrud. Die beiden waren begeisterte Unterstützer des  deutsch-jüdischen  Idealismus und dessen geistigen Vaters Moritz Lazarus, gerade in Bezug auf die von Antisemiten aufgeworfene Fragestellung nach der Zugehörigkeit der Jüdinnen und Juden zur deutschen Nation. Mit der Gründung einer Göttinger Session der Moritz-Lazarus-Loge und dem Vorsitz von Gertrud Hahn als langjährige Vorsitzende des Schwesternbundes positionierten sich die Eheleute Hahn öffentlich für die harmonische Einheit von Deutschtum und Judentum. Damit setzten sie sich aber auch der gesellschaftlichen Anfeindung aus, dem Konkurrenzkampf der völkisch-nationalen  und sozialliberalen Bewegung, die die Weimarer Zeit  prägte. Max schreckte vor keiner Auseinandersetzung zurück und wollte das neue Deutschland mit gestalten.

Gleichzeitig wurde mit dem Versprechen der Rechten, einen gesunden Volkskörper ohne die Reichsfeinde zu schaffen, Neid und Hass geschürt. Doch neben den Versprechungen begann das Kümmern und das Organisieren der „Volksgenossen“ in der Partei oder den angegliederten Organisationen. Wer nicht Jude oder Kommunist war, war egal welchen Werdeganges  in der Bewegung willkommen. Nach dem Erfolg bei den Kommunalwahlen in Göttingen mit der absoluten Mehrheit der NSDAP  und dem Erfolg bei den Reichstagswahlen 1932 beschleunigte sich der Organisationsgrad der Rechten Bewegung. Neben den städtischen und staatlichen Verwaltungen wurde gezielt und effektiv aus den  Gliederungen der NSDAP ein zweites Ordnungsprinzip aufgebaut. Neben der neubesetzen Stadtverwaltung mit NSDAP Leuten entstand in den folgenden Jahren bis 1935 eine Parallelverwaltung in dem Kreis 6 des Gaus Süd-Hannover- Braunschweig, ‚Göttingen Stadt‘, mit 13 Ortsgruppen, mit 87 Zellen und 297 Blöcken, die sich bis 1935 auf 51 Ortsgruppen mit 5000 Mitgliedern erhöhte. In der Parteistatistik von 1935 werden der Organisation 23 Aufgabenbereiche zugeordnet. „Beratung sämtlicher Volksgenossen in allen Lebenslagen“ heißt es in der Parteistatistik,Bd II, S. 283.

So entwickelte sich in der Herrschaftspraxis des NS Staates eine bürokratische Hybridform, in der als Vorwegnahme kommunaler Verwaltung Lebensfragen der „Volksgenossen“ , wie Arbeit, Miete, Lohn, Entschuldung und Fürsorge gelöst wurden. Als Gegenleistung erwartete man die völlige Loyalität des Volksgenossen gegenüber dem Volkskörper, zu dem aber nur die Mitglieder zählten. Es begann  die Ausgrenzung er Nicht-Dazugehörigen, der Gewerkschaftler, der SPD Mitglieder, der Gläubigen, der Behinderten, der Homosexuellen, der Drückeberger, der Assozialen, der Juden , Sinti und Roma, …

 

Der „Block“wurde zum Schlachtfeld und Basis der Herrschaft ; Der Gau Süd-Hannover- Braunschweig hatte 1.996.189 Einwohner, 544.002 Haushalte, 8231 Blöcke, also 66 Haushalte pro Block. Im gesamten Reich gab es bald 840.000 Blockwarte. Mit Kriegsbeginn verbesserte sich auch noch die finanzielle Ausstattung der Parteiorganistionen  und Gliederungen. Doch gleichzeitig wurde mit den Nürnberger Rassegesetzen, die „Arisierung“ der jüdischen Vermögen und die Ausgrenzung aus dem Wirtschaftsleben begonnen.

 

Diese Organisationform des NSDAP  diente der Erziehung und Kontrolle und damit der Bewertung  des „Ariers“ und begründete damit die Basis der „Rassenhygiene“, der biologistischen Determinierung der Auslese und damit letzen Endes die Euthanasie bis zur industriellen Eliminierung des „Unwerten“ Lebens.

 

 

Beispiele des antisemitischen Neides und Hasses gegen jüdische Bürger und speziell Mitglieder der Familien Hahn.

 

Zunächst muss anknüpfend an die vorherigen Ausführungen noch erwähnt werden, dass mit dem Aufbau der Herrschaftsstrukturen und der Parteigliederungen immer mehr Menschen verfügbar wurden, die antisemitische Umtriebe, Boykottmassnahmen bis hin zu den Pogromen der Reichskristallnacht am 8.November 1938 zu organisieren.

 

Schon ab 1919 entstanden in Göttingen antisemitische Vereine. Dieser Antisemitismus diente der Abwehr der Moderne und fußte auf den mittelalterlichen Ständischen Regeln  genauso wie der klassische religiös begründete Antijudaismus. Umbauend auf der Dolchstoß-Legende und der Projektion aller Niederlagen auf das Weltjudentum und zeitgemäße journalistische Verleugnungskampagne mittels der  Protokolle der Weisen von Zion gründeten sich auch in Göttingen Vereine wie der „Verband zur Befreiung vom Judenjoch“ oder der Göttinger Ortsgruppe des „Deutsch-völkischen Trutz- und Schutzbundes“ mit 500 Mitgliedern. (Quelle Bruns-Wüstefeld).

 

Der wirtschaftlich begründete Antisemitismus zeigt sich an folgendem Beispiel:

 

Die Brüder Nathan und Max Raphael Hahn übernahmen aufgrund ihres Engagements für die deutsche Demokratie Anteile der 1919 gegründeten Louis Hofer GmbH, die u. a. die Göttinger Zeitung verlegte. Zum Aufsichtsratsvorsitzenden wurde Richard Gräfenberg (geb. 1870) gewählt, ein bekannter jüdischer Unternehmer, der an der Weender Straße ein großes Kaufhaus betrieb. Max Hahn fungierte bei den Gesellschafterversammlungen oft als Schriftführer. Außer Hahn und Gräfenberg waren anfangs auch andere jüdische Gesellschafter an der GmbH beteiligt, neben Kaufleuten auch die Professoren [Paul] Darmstädter (1873-1934) und Prof. [Felix] Bernstein (1878-1956). Einige Jahre später wurde auch Hermann Föge (1878-1963) Teilhaber der Louis Hofer GmbH, ein Anwalt und aufstrebender DDP-Politiker, der künftig als Rechtsbeistand der Hahnfamilie fungieren sollte. Nathan und Max Hahn sowie Hermann Föge hielten zusammen knapp 20 Prozent der GmbH (39.000 Reichsmark).

Die Göttinger Zeitung war in den 20er Jahren nicht nur die auflagenstärkste Tageszeitung der Stadt mit einer liberalen, politisch der DDP nahestehenden Redaktion, sondern auch die Zeitung mit den besten Anzeigenkunden. Die Göttinger Zeitung wurde daher schon 1919/20 vom konkurrierenden Göttinger Tageblatt, das im Besitz der Familie Wurm war und seit dem Ende des Ersten Weltkriegs eine nationalistische, entschieden antisemitische Haltung im Stil der Vaterlandspartei zeigte, als hiesiges Semitenblatt attackiert.

Auf der Gegenseite bewahrte man Haltung, denn man wollte sich nicht auf einen öffentlichen Schlagabtausch einlassen. Doch man hatte auch politische Gründe, um dem Konkurrenten das Wasser abzugraben. Im vertraulichen Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1920/21 der Louis Hofer GmbH wird hervorgehoben, dass man bei den großen Anzeigen dem Göttinger Tageblattüberlegen sei: Solange das Tageblatt die antisemitische Hetze fortsetzt, dürfte es auch eine Belebung an Schuh- und Konfektions-Anzeigen nicht erfahren. Es kann den jüdischen Geschäftsleuten der Stadt und der Provinz nur immer wieder gesagt werden, dieses Blatt auf keinen Fall für Anzeigen zu verwenden.

Laut den eingesehenen Protokollen von 1919 und 23 war der Anteil sehr lukrativ, machte doch die Hofer GmbH 1923 20.000 US Dollar Gewinn. Doch 1933 wird im Protokoll vom 30.06.33 der Verkauf aller jüdischen Anteile beschlossen. Wenig später wird das antisemitischen Göttinger Tageblatt die Hofer GmbH ganz übernehmen.

 

 

 

Der stigmatisierende, verunglimpfende und menschenverachtende Antisemitismus zeigt sich ab 1929 und erst recht ab 1933.

 

Schon 1924 kleben die Mädchen des Mädchen-Gymnasiums in ihrer Freizeit jüdische Schaufenster mit Zettel mit der Aufschrift „Kauft nicht bei Juden“

 

1931 gründet die Familie Engel als Pächter und mit finanzieller Beteiligung der Hahns das Schuhgeschäft ‚prominent‘ in der Innenstadt. Nach dem Januar 33 beginnen die antisemitischen Umtriebe gegen das Geschäft. Mit Beschimpfungen gegen die Familie Engel als „Judenknechte“ werden die Betreiber zur Aufgabe gebracht.

 

Am 15.01.32 werden die Fensterscheiben der Hahnschen Villa in der Merkelstrasse 3 eingeworfen

 

Am 20.6.32 wird der Kantor und Vorbeter der jüdischen Gemeinde Taustein verprügelt und schwer verletzt.

 

Am 28.03.1933 werden anlässlich eines Demonstrationszuges der SA Schaufensterscheiben jüdischer Geschäfte und auch Fenster jüdischer Wohnungen oder Häuser im Ostviertel sowie die Fenster und Türen der Synagoge am Waageplatz zerstört.

 

28.März 33. Fünf jüdische Geschäftsleute werden auf einem Viehwagen durch die Innenstadt gekarrt und geschmäht.

 

Lieferantenverträge und Kredite werden von Nichtjüdischen Firmen und Banken gekündigt. Die Hahns müssen ihre Häuser als Sicherheiten verwenden. Sie kannten das aber schon aus der Zeit der Währungsreform.

 

1935 skandieren SA Leute vor dem Haus in der Hahns „Max Hahn verrecke“

 

Am 10. November 1938. SS Männer stürmen das Haus in der Merkelstr.3 und in der Baurat Gerber Straße 19 und verhaften die Familienmitglieder.

Max bleibt bis September 39 in „Schutzhaft“.

 

Am 12. November 38  ergeht das Gesetz zur Ausschaltung der Juden aus der deutschen Wirtschaft.

 

Nun beginnt die „Arisierung“ der Hahnschen Betriebe. Doch Nathan und der inhaftierte Max verlegen nun ihre Aktivitäten auf die Vermietung der Immobilien.

 

Ab 1935 verlagert die familiäre Immobilienverwaltung Hahn die Einnahmen verstärkt auf Miet- und Pachteinnahmen. Der Hintergrund ist die Gesetzeslage ab 1935 , die die Übertragung von jüdischem Vermögenswerten auf Nichtjuden oder den Staat legalisierte, was nach 1945 jedoch als Unrecht klassifiziert wurde und die Wiedergutmachung gesetzlich verankerte.

Zwar war  Nathan und Max Hahn klar, dass es eigentlich kein Entkommen vor der Vermögensübertragung gab, aber die Hoffnung bestand auf der Annahme, die Herrschaft der Nazis in Deutschland könne durch den Kriegseintritt der USA enden und die Befreiung die Rechtslage ändern.

 

Deshalb wählten sie eine Strategie, die den Verkauf der Immobilien oder den staatlichen Einzug des Vermögens verzögerte. Ergebnis war tatsächlich ein schleppender Verkauf, weil nun die Immobilien verpachtet oder vermietet waren. Weil der Unrechtsstaat nun die Entjudung der Mietshäuser anstrebte und als Lösung die Unterbringung in Judenhäuser bzw Ghetto’s oder Deportation vorsah, kam es  zu zahlreichen Gerichtsverhandlungen. Während die Hahns ab 1940 in Hamburg lebten und von dort aus handeln mussten, war die Verwertung der Miet- und Pachteinnahmen durch die nun zuständigen Finanzbehörden in Hamburg großzügiger. Das bedeutete für die Hahns die Möglichkeit die Ausreise der Familienglieder zu organisieren.

 

Die Akten der Gerichte zu den Mietstreitigkeiten offenbaren eine antisemitisch bestimmte Rechtssprechung, aber auch tatsächlich Urteile aus dem Geltenden Mietrecht zugunsten der Vermieter. Die Strategie der Brüder ging also auf.

 

Als Beispiel soll hier auf die größte Immobilie, die ehemalige Zuckerfabrik in der Weenderlandstrasse 59 eingegangen werden.

 

Die Hahnschen Liste der Pächter vom 7. Oktober 1940 umfasst 18 Pächter, darunter als große Pächter die Firmen Schachtebeck&Zimmermann und Winkelhof&Gläser, sowie als  größte Pächter die Heeresstandortverwaltung, der RFG oder das Heeresverpflegungsamt mit einem Ertrag von 45280,- RM. Als Beispiel- Pachtvertrag soll derjenige mit Schachtebeck&Zimmermann dienen, der 1936 abgeschlossen wurde und bis 1941 endete. Damit war der Verkauf blockiert. Erst 1941 wurde der Verkauf  der Brüder Hahn an die Firmen Schachtebeck&Zimmermann und Winkelhof&Gläser für 320.000 RM durch das Finanzamt Göttingen erzwungen. Es war aber auch ein Fakt , dass ab 1936 sowohl die Pachten wie auch die Kaufsumme 1941 auf Sperrkonten floss. Jedoch haben die Familienmitglieder Hahn mit dem Finanzamt über Entnahmen verhandeln können, um die Ausreise aller Nachkommen zu organisieren. Dies ist auch gelungen.

 

Trotz des allgemeinen Ausreiseverbotes  und der schon begonnenen Deportationen in Todeslager war also doch die ausnahmsweise Ausreise möglich. Leider hat dies die Brüder Max, Nathan und Herrmann und ihre Ehefrauen Betty und Gertrud nicht mehr gerettet. 1941 und 1942 wurden sie deportiert und ermordet.

HINTERGRUND 

 

Der Emanzipation der jüdische Geschäfte im 19. und 20. Jahrhundert stand nichts im Weg. Vielmehr führte die Innovationskraft der Kaufleute, Händler , Gerber, Lederfabrikaten, Schuh- und Handschuhfabrikanten, Riemenherstellern und Sattlern in technischer Hinsicht, Vertrieb  und Kapitalbildung und deren Einsatz in Fortschritt über die zwanziger Jahre zu  hoher Prosperität. 

 

ANTISEMITISMUS

Die Antisemitismen der Zeit erreichten aber immer größere Wirkung in der Unterdrückung jüdischenn Unternehmertums. Die "Arisierung" war das Ergebnis  der völkischen Ideologie der rassistischen Ausgrenzung und der unsoliden Staatsfinanzen. Das 3. Reich zwischen 1933 und 1945 hatte einen extrem hohen Finanzbedarf und bediente sich staatlicher Raubzüge. Die "Arisierung" vernichtete langsam die jüdischen Unternehmerschaft oder trieb sie außer Landes. Doch die Firmen , die nicht geschlossen oder vertrieben wurden, kamen in die Hände von nichtjüdischen Unternehmern, die die Produkte , Vertriebswege, Markenzeichen  und idellen Ideen profitabel weiterbetrieben. Sie profitierten von der innovativen Kraft der vorherigen Besitzer. Das war keine Wettbewerbsverzerrung , sondern eine staatlich sanktionierte Vorteilsnahme für Nichtjuden bei gleichzeitiger Vernichtung der Konkurrenten.

Mode in den 1920igern

In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts begann die Werbewirtschaft mit der Idee eines Marketings nach Modeaspekten. Der vorrangige Distributionsmechanismus war die Bedarfserfüllung durch Bestellung und nachgeschaltete Produktion. In der Aufbruchszeit zwischen den Weltkriegen waren die Märkte sehr instabil. Zu viele Einflüsse, auch staatlicher Seite waren maßgebend für  Aufträge und Nachfrage. Innovation war gefragt. Die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts brauchte einen neuen Ansatz der Produktionsmittel, Produktion und Absatzförderung. Mode war das neue Schlagwort. So bildete der Handel und die Industrie  einen „Modeausschuss“ und versuchte damit die vielfältigen Entwicklungen begleiten oder sogar steuern zu können. Die Industrieverbände und Handwerks- und Handelsverbände und Stände standen dem zögernd gegenüber. Doch aus den USA kamen neue Signale der Marktentwicklung: Werbung , Markenzeichen, Konsumverhalten steuern. Diese innovativen Ansätze halfen zunächst nur der industriellen Produktion. Aus der Schuhbestellung auf Nachfrage wurde das breit gefächerte modische Angebot des Kartonschuhs in Schuhläden.

 

Gerade die Schuhindustrie stand im Fokus zwischen Massenbedarfsbefriedigung und Ausstattungsinteressen des Staates, z.B. des Militärs. Leder wurde zum systemischen Bedarfsartikel und der Handel und die Verarbeitung liefen  Gefahr syndikalistischer  Steuerung. Es war aber auch zugleich ein Markt der Innovation durch die Entwicklung von Markenprodukten, modischer Vielfalt und neuen Distributionsformen. Durch die Errichtung von Marken Schuhläden und Schuhabteilungen  in den überwiegend jüdischen Kaufhäusern  entstanden ca. 170.000 Stellen für Schuhverkäuferinnen.

Logo von Karl Schulpig, Berlin

Das LOGO. Die urheberrechtliche graphische Herkunft der Schutzmarke, wie es damals noch heißt, ist noch nicht gefunden, aber die stilistische Nähe zu den kubistisch,schwarz/weißen Logos von Karl Schulpig aus Berlin ist schon augenscheinlich. Das Logo der Schutzmarke GALLUS erfüllt genau diese Kriterien und hat deshalb schon 1926 das Potenzial zur Kultmarke, oder wie Deichmann  als Markeninhaber ab 2005 sagt, ist eine Traditionsmarke. Der rennende Hahn in Stiefeln im begrenzenden Kreis mit einer reduziert gebrochenen Schrift symbolisiert den fleißigen mobilen und modernen Menschen und macht den männlichen Träger dieser Schuhe zum erfolgreichen  Bürger. So sahen sich auch die Hahns als eine erfolgreiche deutsche Familie im Dienst der Familie, der Stadt und des Staates. Besonders ihre Firmenchronik zum 75. Bestehen ihrer Unternehmen atmet diesen Geist,bei aller Sorge um die instabilen Verhältnisse.

Schuhleistenfabrik FAGUSWERK Alfeld 

Der Leisten ist ein Formstück aus Holz, Kunststoff oder Metall, das der Form eines Fußes nachempfunden ist und zum Bau eines Schuhs verwendet wird. Handwerker, welche Leisten herstellten, wurden als Leistenschneider bezeichnet. Schon am 8.821 teilt die von Hahn kreditierte Schuhfabrik Suchfort der Baubehörde den Einzug von 24 Schuhfabikationsmaschinen und 8 Nähmaschine für 40-50 Arbeitsplätzen in die Weenderlandstrasse 59 mit. Die Schuhfabrik Hahn nimmt Fahrt auf, die Farguswerke im nahen Alfeld als modernster Hersteller von Schuh-Leisten werden Geschäftspartner und die Schuhproduktion beginnt.

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