Mit welchen Mitteln und Methoden wurde die Enteignung und Verwertung von jüdischen Eigentum zwischen 1933 und 1945 betrieben?Was geschah zwischen 1919 bis 1933?
Die Mittel und Methoden der Arisierung haben sich in den Jahren der NS Herrschaft geändert. In der ersten Phase, die bis 1936 währte, setzte man auf die Mobilisierung antisemitisch gesinnter gesellschaftlicher Kräfte, um jüdische Bürger aus dem wirtschaftlichen Leben zu entfernen. Boykottmaßnahmen haben dabei offenbar die größte Wirkung erzielt. Hinzu traten staatliche Maßnahmen, zum Beispiel der Ausschluss der Juden aus dem öffentlichen Dienst. Das Haavara-Abkommen von 1933 förderte ebenfalls die Arisierung jüdischer Betriebe und Geschäfte, doch blieb die Substanz des Vermögens unter diesem Abkommen beim Verkäufer.
In der zweiten Phase, die von staatlichen Maßnahmen bestimmt war, die zugunsten des Fiskus erfolgten, wurden die verbliebenen jüdischen Bürger Schritt für Schritt, ausgehend von den Nürnberger Gesetzen, entrechtet, an der Ausübung des Berufs gehindert und schließlich zum Verkauf ihres Eigentums genötigt. Die Verkaufserlöse eignete sich der Staat durch hohe Besteuerung oder durch Enteignung an. Die Enteigneten, soweit sie nicht ins Ausland gelangt waren, ermordet.
Die Vorgänge der ersten Phase hatten bereits Vorläufer in den Jahren nach 1919, da es hier bereits punktuell zu wirtschaftlichen Boykottaktionen und sozialen Ausgrenzungen gekommen war, betrieben vornehmlich von antisemitischen Organisationen.
Wie viel Reichsmark nahm der NS Staat durch Arisierung ein und wie hoch war der daraus resultieren prozentuale Anteil an den staatlichen Einnahmen?
Die Einnahmen, die der NS Staat aus den Arisierungen teils durch Steuern, teils durch Enteignung für sich beanspruchen konnte, lassen sich nur schätzen, da es weder eine offizielle Bilanz gegeben hat noch der Forschung gelungen ist, eine solche zu rekonstruieren. Fixe Zahlen gibt es lediglich zur so genannten Judenabgabe von 1939/40 und zu den Erträgen der Reichsflucht Steuer, zusammen 1.7 Milliarden Reichsmark. Nimmt man die Einnahmen hinzu, die der Reichsfiskus aus dem erzwungenen Verkauf jüdischer Betriebe, Immobilien, Wertpapiere und anderer Vermögensbestandteile erzielte, dürfte es sich um eine Summe in der Größenordnung von 20 Milliarden RM handeln. Diese Gelder sind vorwiegend erst im Zuge der Enteignungen 1942/43 in den Reichshaushalt gelangt, viele Häuser wurden bis 1945 nicht verkauft, sondern wurden dem Fiskalvermögen einverleibt. Der Anteil am Reichshaushalt lag kurz vor dem Krieg bei 5 Prozent, später dürfte sein Anteil am Kriegshaushalt, je nach Anfall der enteigneten Mittel, gelegentlich höher, meist aber niedriger ausgefallen sein.
Aus welchen Gründen entstand die Arisierung und wie korrespondierte sie mit analogen Strömung des Antisemitismus in der Gesellschaft?
Für die Arisierung gab es drei bestimmende Motive, die in den beiden Phasen, die sich unterscheiden lassen, von unterschiedlichem Gewicht waren: vorrangig war bei den Nationalsozialisten das antisemitische Motiv, die Juden aus der deutschen Gesellschaft auszustoßen; die Juden konnten und durften nicht Teil der rassisch definierten Volksgemeinschaft sein, die man schaffen wollte. Hinzu trat das sozialpsychologische Motiv, Neid und Ressentiment insbesondere auf die wohlhabenden und erfolgreichen jüdischen Familien zu lenken. Viele Anhänger und Wähler Hitlers waren in den Krisenzeiten nach Ende des Ersten Weltkriegs in Existenznöte geraten. Als drittes Motiv spielten wirtschaftliche Zwecke eine zeitweise dominierende Rolle: Man wollte Betriebe und jüdische Geschäfte im Rahmen der mit dem VierJahresplan beabsichtigten Umbau der Wirtschaft für Kriegszwecke mobilisieren, zum andern die Erlöse aus dem Verkauf der jüdischen Betriebe dem Fiskus zuschlagen, um die Rüstungsmaßnahmen mit finanzieren zu können.
Welche Aktualität haben damalige Vorgänge für das heutige Verständnis jüdischen Lebens in Deutschland?
Die Angriffe auf jüdische Einrichtungen und jüdische Menschen in Deutschland, die sich in den letzten Jahren häufen, machen uns bewusst, dass jüdisches Leben in unserem Land auch nach der Erfahrung und den Lehren des Holocaust immer noch gefährdet ist. Doch nicht nur die Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft, sondern auch andere Bürger, die Minderheiten angehören, sind auf den Schutz des Staates angewiesen. In einem demokratischen Staat ist das Schutzversprechen des Staates, das sich auf die Grundrechte der Verfassung stützt, wie die Erfahrung der Weimarer Republik lehrt, gebunden an die Zustimmung der Mehrheit. Es kommt daher alles darauf an, in der Gesellschaft dafür zu werben, dass die Rechte der Minderheiten unbedingt zu schützen sind, und zwar auch im Interesse jeden Bürgers, der sich selbst nicht einer Minderheit zurechnet, aber über Nacht einer Minderheit zugeschlagen werden kann.