Finanzamt Moabit

Genaue Zahlen über den Umfang der „Arisierungsschäden“ liegen nicht vor. Die jüdische Seite schätzte damals die materiellen Verluste der Arisierung auf ein Volumen von 14 Mrd. Dollar. Vgl. Zweig, German Reparations, S.7. Heutige Schätzungen gehen davon aus, dass jüdisches Vermögen im Werte von 10,3 Mrd. RM konfisziert und vernichtet wurde. Dieses entspräche bei einem Umrechnungsverhältnis von 1:10 nach heutigem Wert 100 Mrd. DM. Vgl. Hepp, Michael, Deutsche Bank, Dresdner Bank – Erlöse aus Raub, Enteignung und Zwangsarbeit

1933–1945, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, Heft 1/2000, S. 72.

 

 

https://www.berlin.de/sen/finanzen/ueber-uns/architektur-geschichte/artikel.5164.php

Das Finanzamt Moabit-West als Schaltzentrale

 

Die erste große Emigrationswelle setzte unmittelbar nach dem Machtantritt Adolf Hitlers am 30.01.1933 ein. Der von den Nationalsozialisten entfachte Terror richtete sich nicht nur gegen Sozialdemokraten, Kommunisten und Gewerkschafter, sondern erfasste auch viele als undeutsch verfemte Intellektuelle und Künstler. Die massiven Menschenrechtsverletzungen in Deutschland riefen ein stark negatives Presseecho im Ausland hervor, das durch Berichte und Kundgebungen vieler Emigranten noch verstärkt wurde. Allein Heinrich Mann veröffentlichte bis 1939 über 400 Aufsätze, Reden und Aufrufe in Frankreich, in denen er vor der Gefahr des Faschismus warnte.

Das NS-Regime entschloss sich, gegen die prominenten Systemgegner im Ausland vorzugehen und erließ am 14. Juli 1933 ein Ausbürgerungsgesetz. Dieses sah den Entzug der Staatsangehörigkeit bei Schädigung deutscher Belange im Ausland vor, gemeint war damit nichts anderes als öffentliche Kritik an der Regierung Hitlers. Im Kern zielte dieses Ausbürgerungsgesetz auf die Ächtung der politischen Emigration aus Deutschland und die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz der Emigranten.

Entgegen aller rechtsstaatlichen Grundsätze fand dazu kein Anhörungsverfahren statt, und gegen den Entzug der Staatsangehörigkeit konnte kein Rechtsmittel eingelegt werden. Auf die amtlich veröffentlichten Ausbürgerungslisten wurden zunächst vor allem prominente Emigranten wie Albert Einstein oder Heinrich Mann gesetzt. Die erste Ausbürgerungsliste vom 25. August 1933 enthielt 33 Namen.

 

Schaltzentrale Finanzamt Moabit-West

Finanzamt Moabit-West

 

Das Finanzamt Moabit-West in der Luisenstraße

 

Die Ausbürgerung war für die Emigranten verbunden mit dem Verlust ihres gesamten Vermögens. Alle Vermögenswerte einschließlich der zurückgelassenen Wohnungseinrichtungen wurden systematisch erfasst und zugunsten des Staates verwertet – eine Aufgabe, die der Finanzverwaltung übertragen wurde. Am 30. August 1933 erhielt das Berliner Finanzamt Moabit-West zentral für das gesamte Deutsche Reich den Auftrag, die Vermögensbeschlagnahme durchzuführen.

Es kooperierte dabei in großem Umfang mit der Geheimen Staatspolizei (Gestapo): Während diese dem Finanzamt die Namenslisten zur Verfügung stellte, versorgte das Finanzamt Moabit-West die Gestapo mit Informationen zu den wirtschaftlichen und steuerlichen Verhältnissen der zur Ausbürgerung vorgesehenen Betroffenen. In Einzelfällen schlug das Finanzamt sogar selbst Personen zur Ausbürgerung vor.

Ab 1936 begann das nationalsozialistische Deutschland eine Politik der Massenausbürgerung. Betroffen waren nunmehr hauptsächlich die ins Ausland geflüchteten jüdischen Verfolgten des Regimes. Als Anlaß zu einer Ausbürgerung reichten bei ihnen bereits kritische Äußerungen in einem privaten Brief, die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft oder ein Verstoß gegen steuerliche Bestimmungen. Ab 1939 wurde dann der Vermögensstatus eines jüdischen Emigranten zum einzigen Maßstab für die Ausbürgerungsentscheidung.

Das Finanzamt Moabit-West gründete wegen des enormen Anstiegs der Fälle eine eigene Ausbürgerungsabteilung. Leiter dieser Abteilung wurde Regierungsrat Willy Bötcher. Zwischen 1933 und 1940 führte das Amt in 3.562 Ausbürgerungsfällen die Vermögensbeschlagnahme durch (davon 638 im Oberfinanzpräsidium Berlin, 90 im Oberfinanzpräsidium Brandenburg) und zog für den Reichshaushalt 23.794.371 Reichsmark, mehrere Hundert Grundstücke und Wertpapiere in ungenannter Zahl ein. Insgesamt wurde in Deutschland bis zum Verbot der Auswanderung (23. Oktober 1941) rund 32.000 Bürgern die Staatsangehörigkeit entzogen.

Weiter

HINTERGRUND 

 

Der Emanzipation der jüdische Geschäfte im 19. und 20. Jahrhundert stand nichts im Weg. Vielmehr führte die Innovationskraft der Kaufleute, Händler , Gerber, Lederfabrikaten, Schuh- und Handschuhfabrikanten, Riemenherstellern und Sattlern in technischer Hinsicht, Vertrieb  und Kapitalbildung und deren Einsatz in Fortschritt über die zwanziger Jahre zu  hoher Prosperität. 

 

ANTISEMITISMUS

Die Antisemitismen der Zeit erreichten aber immer größere Wirkung in der Unterdrückung jüdischenn Unternehmertums. Die "Arisierung" war das Ergebnis  der völkischen Ideologie der rassistischen Ausgrenzung und der unsoliden Staatsfinanzen. Das 3. Reich zwischen 1933 und 1945 hatte einen extrem hohen Finanzbedarf und bediente sich staatlicher Raubzüge. Die "Arisierung" vernichtete langsam die jüdischen Unternehmerschaft oder trieb sie außer Landes. Doch die Firmen , die nicht geschlossen oder vertrieben wurden, kamen in die Hände von nichtjüdischen Unternehmern, die die Produkte , Vertriebswege, Markenzeichen  und idellen Ideen profitabel weiterbetrieben. Sie profitierten von der innovativen Kraft der vorherigen Besitzer. Das war keine Wettbewerbsverzerrung , sondern eine staatlich sanktionierte Vorteilsnahme für Nichtjuden bei gleichzeitiger Vernichtung der Konkurrenten.

Mode in den 1920igern

In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts begann die Werbewirtschaft mit der Idee eines Marketings nach Modeaspekten. Der vorrangige Distributionsmechanismus war die Bedarfserfüllung durch Bestellung und nachgeschaltete Produktion. In der Aufbruchszeit zwischen den Weltkriegen waren die Märkte sehr instabil. Zu viele Einflüsse, auch staatlicher Seite waren maßgebend für  Aufträge und Nachfrage. Innovation war gefragt. Die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts brauchte einen neuen Ansatz der Produktionsmittel, Produktion und Absatzförderung. Mode war das neue Schlagwort. So bildete der Handel und die Industrie  einen „Modeausschuss“ und versuchte damit die vielfältigen Entwicklungen begleiten oder sogar steuern zu können. Die Industrieverbände und Handwerks- und Handelsverbände und Stände standen dem zögernd gegenüber. Doch aus den USA kamen neue Signale der Marktentwicklung: Werbung , Markenzeichen, Konsumverhalten steuern. Diese innovativen Ansätze halfen zunächst nur der industriellen Produktion. Aus der Schuhbestellung auf Nachfrage wurde das breit gefächerte modische Angebot des Kartonschuhs in Schuhläden.

 

Gerade die Schuhindustrie stand im Fokus zwischen Massenbedarfsbefriedigung und Ausstattungsinteressen des Staates, z.B. des Militärs. Leder wurde zum systemischen Bedarfsartikel und der Handel und die Verarbeitung liefen  Gefahr syndikalistischer  Steuerung. Es war aber auch zugleich ein Markt der Innovation durch die Entwicklung von Markenprodukten, modischer Vielfalt und neuen Distributionsformen. Durch die Errichtung von Marken Schuhläden und Schuhabteilungen  in den überwiegend jüdischen Kaufhäusern  entstanden ca. 170.000 Stellen für Schuhverkäuferinnen.

Logo von Karl Schulpig, Berlin

Das LOGO. Die urheberrechtliche graphische Herkunft der Schutzmarke, wie es damals noch heißt, ist noch nicht gefunden, aber die stilistische Nähe zu den kubistisch,schwarz/weißen Logos von Karl Schulpig aus Berlin ist schon augenscheinlich. Das Logo der Schutzmarke GALLUS erfüllt genau diese Kriterien und hat deshalb schon 1926 das Potenzial zur Kultmarke, oder wie Deichmann  als Markeninhaber ab 2005 sagt, ist eine Traditionsmarke. Der rennende Hahn in Stiefeln im begrenzenden Kreis mit einer reduziert gebrochenen Schrift symbolisiert den fleißigen mobilen und modernen Menschen und macht den männlichen Träger dieser Schuhe zum erfolgreichen  Bürger. So sahen sich auch die Hahns als eine erfolgreiche deutsche Familie im Dienst der Familie, der Stadt und des Staates. Besonders ihre Firmenchronik zum 75. Bestehen ihrer Unternehmen atmet diesen Geist,bei aller Sorge um die instabilen Verhältnisse.

Schuhleistenfabrik FAGUSWERK Alfeld 

Der Leisten ist ein Formstück aus Holz, Kunststoff oder Metall, das der Form eines Fußes nachempfunden ist und zum Bau eines Schuhs verwendet wird. Handwerker, welche Leisten herstellten, wurden als Leistenschneider bezeichnet. Schon am 8.821 teilt die von Hahn kreditierte Schuhfabrik Suchfort der Baubehörde den Einzug von 24 Schuhfabikationsmaschinen und 8 Nähmaschine für 40-50 Arbeitsplätzen in die Weenderlandstrasse 59 mit. Die Schuhfabrik Hahn nimmt Fahrt auf, die Farguswerke im nahen Alfeld als modernster Hersteller von Schuh-Leisten werden Geschäftspartner und die Schuhproduktion beginnt.

akademischer-verlag 0