Die Möbel der Familie Hahn | Städtisches Museum Göttingen
Die Wohnzimmer Möbel der Familie Max Raphael und Gertrud Hahn
„In einer künftigen Dauerausstellung des Museum soll beispielhaft für die Verfolgung aller Juden in Göttingen anhand dieser Möbel die Geschichte der Familie Hahn, ihre Vertreibung aus Göttingen und das Wachsen neuer Beziehungen gezeigt werden.“ Quelle: museum.göttingen.de
Die Geschichte des Sofas und der zwei Sessel, anhand derer die Vertreibung der Familie Hahn aus Göttingen beispielhaft für alle Juden gezeigt werden soll, ist schon sehr eigentümlich und schon lange nicht beispielhaft. Die Geschichten der jüdischen Familien in Göttingen sind schwer zu verallgemeinern. Es gab keinen einheitlichen Umgang bei den Inhaftnahmen, es gab verschiedene Deportation nach Theresienstadt oder ins Warschauer Ghetto, es gab sehr unterschiedliche „Arisierung“ und es gab auch Ausreisegenehmigungen bis 1941/42. Selbst Max Raphael Hahn hatte im Rahmen seiner Fluchtplanungen noch 1940 zwei Container mit einem Klavier, Hausrat, Schmuckgegenständen, Porzellan usw. nach Schweden verfrachten können, die auch dort angekommen sind.
Aber das Verhalten gegenüber der Familie Hahn und der Umgang mit ihnen durch die Polizei, die Gestapo, die Behörden , dem Bürgermeister und den Verantwortlichen der NSDAP sind geprägt von dem Neid und Hass auf diese wohlhabende und einflussreiche liberal-deutsche bürgerliche Familie und ihre Widerstandsfähigkeit. Zudem war besonders Max Raphaels Verhalten von einem ausgeprägten Rechtsverständnis geprägt, dass ihm selbst untersagte, gegen Gesetze zu verstoßen. Er wusste sehr wohl, was ihm und seiner Familie drohte, warum er als einziger 8 Monate inhaftiert wurde. Man wollte ihn ausrauben und dafür jede Verdunkelungsgefahr, Vermögensverschiebung oder Flucht verhindern. Denn Max Raphael Hahn war ein unglaublich kreativer Geist und schon immer bereit und in jeder noch so komplizierten Lage legale Auswege zu beschreiten. Diese Fähigkeiten waren aber auch die Gründe der extrem harten und hasserfüllten Maßnahmen seiner Gegner.
Am 10. November wurde die gesamte Familie verhaftet, Max Raphael wurde erst am 4. Juli 1939 wieder freigelassen. Seine Frau, sein Bruder Nathan oder dessen Sohn Meir wurden schnell wieder freigelassen. Nur Meir Hahn wurde noch während der Haft in die Weenderlandstrasse 59 gebracht, um das Bargeld der Firmen aus dem Tresor zu holen und es auszuhändigen. Doch die Fabrik war mitsamt Tresor schon seit 1936 verpachtet und für Meir nicht zugänglich. Es zeigt aber auch, wie wenig die Behörden, die Polizei oder die SA über die wirtschaftlichen Verhältnisse wusste.
In dieser Zeit ab 1938 wurde durch die Nazis versucht die „Arisierung“ des Hahn’schen Vermögens möglichst schnell zu erreichen. Der Verkauf der Häuser sollte erzwungen werden, aber es gab nicht genug solvente Käufer. Die meisten Immobilien waren außerdem an nicht jüdische Göttinger Bürger oder Geschäftsleute vermietet und verpachtet. Bestes Beispiel war die größte Anlage in der Weenderlandstrasse 59, die für jährlich 48.000 RM von 1936 bis 1941 an 18 Firmen und u.a. an die Herresverwaltung als Hauptmieter vor dem Getreidehändler Schachtebeck & Zimmermann verpachtet war. Diese Pachtverträge wollten selbst die Beamten vom Finanzamt nicht kündigen, da sie diese erst 1936 genehmigt hatten.
Zurück zu den Möbeln aus der Merkelstrasse. Die besagte Garnitur wurde wahrscheinlich schon vor dem 10.11. 38 verkauft. Nach dem 10. November wäre der Verkauf kaum möglich gewesen. Tatsächlich wurden die Möbel vom Museumsdirektor Fahlbusch gegen Bargeld an die Familie angekauft. Dies lag auch daran, das sich die Beteiligten kannten, weil sie Nachbarn im Göttinger Ostviertel waren. Ansonsten war der Ankauf gegen Bargeld verboten und stand unter Strafe. Fahlbusch hätte seinen Posten verloren. Die spätere Nachkriegs-Klassifizierung von Direktor Fahlbusch als Täter und Nutznießer ist insofern ungerecht und ehrverletzend , weil er den Hahns half, indem er ihnen Barmittel zukommen lies.
Schon seit 1933 hatten Max und Nathan ihr betrieblichen Strategien verändert und ihre Betriebe langsam aufgegeben oder in den Vergleich geschickt. Statt dessen hatten sie begonnen, ihre Immobilien als Geldquelle genutzt. Es war ihre einzige Möglichkeit, die Flucht der Kinder und im zweiten Gang der Kernfamilie , zu ermöglichen. Dafür brauchte man Bargeld. Immer mehr Familienmitglieder mahnten zur Vorsicht und appellierten an Max Raphael Hahn, die weitere Vermögenssicherung aufzugeben. AlleVorbereitungen der geplanten Ausreisen von Rudolf, Leo, Hanni und Meir wurden bis 1938 organisiert. Man nutzte dazu diesmal Ausland befindliche Verwandte und Freunde. So konnten sie im Januar und Mai 1939 das Land verlassen und waren gerettet. Nach der langen Haft von Max Raphael war die Flucht aus Göttingen nicht mehr möglich. Während der Haft hatte auch Max Raphael seinen Widerstand gegen die Ausreise aufgeben. Briefe und ein letzter Besuch von seinem Sohn Rudolf im Gefängnis vor seiner Abreise im Januar 1939 belegen diese Situation. Darum zogen die zwei Familien nun nach Hamburg um. Dort hatte man nicht nur bessere Beziehungen, sondern auch ein zurückhaltenderes Umfeld und ein milderes Finanzamt. Doch leider gab das Göttinger Finanzamt bewusst die Akten nicht nach Hamburg ab , um die Hahns weiterhin kontrollieren und auch abschöpfen zu können. Aber mit Beginn des Krieges im September 1939 war es fast unmöglich geworden, ein Aufnahmeland zu finden. Dem Ehepaar gelang es ca. 1940/1941 umfangreiche Dokumente in mehreren Containern nach Schweden und in die Schweiz zu expedieren. Doch sie selbst konnten nicht folgen.
Mit dem Transport vom 6. Dezember 1941 vom Hannoverschen Bahnhof deportierten die Nationalsozialisten Gertrud und Max Hahn nach Riga. Wann genau das Ehepaar dort ums Leben lässt sich nicht rekonstruieren.
Abschließend sei erwähnt, dass das Sofa und die zwei Sessel nach dem Krieg als bürgerliche Möbel ohne Bezug zu den Hahns präsentiert wurden und dann aus Platzgründen im Fundus verschwanden. Erst die neuere Restitutionsforschung und der Besuch der Erben 2015 und die damit verbundene Öffentlichkeit förderte die Möbel wieder ins Licht. Die Überlassung der Erben an das städtische Museum Stadt hat bisher und im Gegensatz zu den Versprechungen nicht zur Ausstellung der Möbel und der dazugehörigen Präsentation jüdischen Lebens in Göttingen geführt.