Zum Leben der Familie Hahn in Göttingen  unter dem boshaften Verhalten eines Teils der in der NSDAP und SA organisierten Göttinger Bürger, der Bediensteten  in der Stadtverwaltung und den Beamten der Finanzämter und Behörden.

 

Bei dem Göttinger Historiker Bruns-Wüstefeld findet sich in dem Buch „lohnende Geschäfte“ aus 1997 ein umfangreiches Kapitel zum Leben der Familie Gräfenberg in Göttingen, die als jüdische Kaufhausbesitzer und Betreiber Gegenstand einer langwierigen und boshaften  „Bearbeitung“ durch die Behörden waren, trotz der „Arisierung“  den Holocaust in Göttingen überstanden und nach 1945 entschädigt wurden. Sie galten im Bewusstsein der meisten Bürger als „gute Juden“. Auch andere jüdische Geschäftsleute und die „Arisierung“ ihrer Geschäft finden sich in dem Buch von Wüstefeld. Leider sind seine Nachweise nicht immer belegt.

 

Auch die erheblich wirtschaftlich erfolgreichere Familie Hahn war ein dominierender Teil der jüdischen Gemeinde in Göttingen und ein anerkannter Teil des Mittelstandes mit einem großen Immobilienbesitz , zwei großen Firmen und mehreren Beteiligungen an nichtjüdischen Firmen, mussten aber schon in den Jahren zwischen 21 und 33 Widerstand,  Neid und Hass erfahren. Aber nach 1933 und besonders mit der Reichskristallnacht 1938 erlebten die Ehepaare Hahn eine außergewöhnliche Boshaftigkeit und unmoralisches Verhalten. Dazu sollen  Beispiele belegen, wie die antisemitischen Komponenten wirkten und die Familie zermürbten und die Kindesgeneration aus dem Land trieb, wie die Behörden das Vermögen verschob, vernichtete,  entjudete oder staatlich einzog. Letztendlich wurden trotz aller Bestrebungen der Eheleute Hahn, in Deutschland bleiben zu können und zu retten, was zu retten schien, bitter enttäuscht, sie wurden noch im hohen Alter als gut situierte Bürger deportiert und ermordet.

Auch ihre Geschichte findet sich bei Wüstefeld. Doch neben den aus den Restitutionsakten stammenden Hintergründe sind doch einige Fragen und Belege offen geblieben. Die bisherigen Untersuchungen sind geprägt von der gerichtlichen und gesellschaftlichen Klärung der Schuldfrage und der Klassifizierung und der Ächtung der sogenannten Nutznießer.

 

In der Forschung brauchen wir heute einen ganzheitlichen Ansatz. Dem dient nun diese Analyse der Hintergründe aus möglichst vielen Sichtweisen. Dazu gehört nicht nur die Erfassung der Opfer und der Täter , sondern auch eine differenzierte Sichtweise auf die gesellschaftlichen Entwicklungen und das Individuum als Teil der Interaktionen.

 

Raphael Hahn kam 1858 aus Rhina nach Göttingen , erhielt die Bürgerschaftsurkunde und meldete sein Felle- und Häutehandel an. Laut der Familienchronik der Familie Hahn von 1933 zum 75. Bestehen der Firma etablierte sich das Geschäft großartig und ermöglichte den Kauf des Stammhauses (Weenderstrasse 60) in der Innenstadt. Erst der Einstieg der Söhne Nathan (1888) und Max Rapael (1896) brachte eine neue geschäftliche Expansion. Mit den sehr unterschiedlichen Charakteren ergaben sich neue Ansätze. Nathan, der deutlich älter war, übernahm die Buchhaltung und die Konsolidierung , Max Raphael war der innovative Geist und Motor der Prosperität. Nathan verblieb in der Tradition seines orthodoxen Vaters, während sich Max zum säkularisierten Juden und freigeistigen mittelständischen Unternehmer entwickelte. Als Außendienstler des Häutehandels war er viel im Reich  bis auf den Balkan und  in Frankreich unterwegs und erarbeitete sich ein Netzwerk im Leder- und Häutehandel, dass ihn  1916 in die leitende Position der Lagerhaltung der Reichsleder AG in Leipzig katapultierte. Neben diesem Erfolg war er auch noch intellektuell bewandert und in den weltweiten Erfordernissen eines schwierigen Geschäftes zuhause. Er verband aber auch den Erfolg für die Lederbranche und den Staat als Abnehmer seiner Leistungen mit den familiären Vorteilen, indem er seine Einkünfte in Immobilien in Göttingen investierte und Beteiligungen in nichtjüdische und jüdische Firmen steckte. Damit machte er sich und seine Familie und deren Vermögen krisenfest. Die „Weimarer Zeit“ war geprägt von großen Möglichkeiten innovativen Unternehmertums, stand aber auch vor fiskalischen Problemen aller Art, insbesondere dem Zerfall der Sicherheiten und der Währung bis hin zur Weltwirtschaftskrise.

Max Raphael Hahn sah die Chancen und nutzte sein Portfolio ausgiebig, um familiäre und wirtschaftliche Stabilität zu erzeugen. Dieses Bestreben korrespondierte mit seinem Aufstieg in der bürgerlichen Gesellschaft einer Universitätsstadt mit einem ausgeprägten Teil handwerklicher Betriebe und Handelsniederlassungen. Die jüdischen Teile der Stadtgesellschaft erfreuten sich dabei großer Freiheiten , aber auch großer Anfeindungen.

 

Nathan und Max Hahn sahen sich seit der Regierungsübernahme der Nationalsozialisten im Reich in Göttingen von Anfang an einem starken Verfolgungsdruck ausgesetzt. Das hing damit zusammen, dass sie in der jüdischen Gemeinschaft eine führende Rolle spielten und über ein Vermögen verfügten, das sichtbar war: Sie besaßen nicht nur an der Weender Landstraße ein 15000qm  großes, gewerblich nutzbares Grundstück, die ehemalige Zuckerfabrik mit Gleisanschluss, auf dem sich inzwischen auch mehrere andere Gewerbebetriebe angesiedelt hatten und eine Anzahl von Pächtern ihre Geschäfte betrieben. Der größte Pächter war die Heeresstandortverwaltung. In der Stadt selbst und vielfach in bester Lage besaßen die Brüder Nathan und Max mehrere Dutzend Häuser und unbebaute Grundstücke.

Angesichts der seinerzeit üblichen Preise konnte man das Vermögen der Hahns auf mindestens 2 Millionen Reichsmark (heute über 50 Millionen Euro) veranschlagen. Die Göttinger Bürger, die angesichts dessen Neid empfinden mochten, wussten nicht, dass der Immobilienbesitz der Hahnfamilie mit Hypotheken belastet war, die man aufgenommen hatte, um vielfältige Investitionen zu tätigen und die Folgen der Wirtschaftskrise zu bewältigen. Der Neid fußte aber auch auf der Erfahrungen von Bürgern, die durch eigenes Missgeschick in Verbindung mit der allgemeinen schwierigen Lage, besonders des Währungszerfalls bis 1925 ihre Häuser, Grundstücke, Betriebe oder Anteile verkaufen mussten. Hinzu kamen Personen oder Unternehmer, die dringend Kredite brauchten, um sich selbst über Wasser halten zu können. So kam es schon 1919 zu Erwerb von Anteilen des Verlages Hofer GmbH (Göttinger Zeitung),  1921 zum Einstieg des Max Hahn in die Schuhfabrikation Suchfort in Göttingen. 1926 übernahm dann sein Bruder Nathan den Rest und sie gründeten die Schuhfabrik Gallus Schuhfabrik GmbH.

 

Die „totale Krise“ der sogenannten „Weimarer Republik“ nach 1930 basierte auf wirtschaftlicher Instabilität , aber auch aufgrund der Politik der Präsidialkabinette auf einem Vertrauensverlust in die Demokratie, der von den radikalen Gruppierungen der Rechten und Linken befeuert wurde. Dies spiegelte sich nur im Reichstag, sondern auf der Straße, in zahlreichen Formen der Gewalt bis hin zu politischen Morden und wirtschaftlichen und privaten Auseinandersetzungen in der Gesellschaft selbst.

 

An den schwierigen Verhältnissen der Zeit zerbrachen auch Geschäfte und Familien.

 

Dies lässt sich auch in den Städten feststellen. Der Häusermarkt in Göttingen unterlag in den 1920iger Jahren einer großen Fluktuation. Städtische Bauprojekte trugen zur außergewöhnlich hohen Verschuldung bei, Preise schwankten, Werte waren fragil und die Steuern kletterten. Die Bewältigung dieser Krise wurde mit den politischen Möglichkeiten der Demokratie verknüpft und polarisiert, wozu auch die Zeitungen (Göttinger Tageblatt auf der rechten und Göttinger Zeitung aus der bürgerlich liberalen Seite) beitrugen. Der politische Antisemitismus der völkischen nationalistischen Kreise schuf  einen kulturellen Code der Schuldzuweisung an das Judentum mit der Niederlage im Weltkrieg I beginnend bis zum sozioökonomischen Niedergang.

 

Dem Erfolg jüdischer Unternehmer in Göttingen (1929, 73 jüdische Firmen)entsprach der wissenschaftliche Erfolg der Universität. Die Göttinger Universität glänzte weltweit mit den Erkenntnissen der Relativitätstheorie, der Quantentheorie und der Quantenmechanik. Auch hier entstand Neid an dem Erfolg und die Kritik entfaltete rassistische Züge unter der nichtjüdischen Proffessorenschaft. Mit dem Niedergang der bürgerlichen Parteien gerade auch in Göttingen eröffnete die NSDAP und die Hitlerideologie den Bürgern die Idee der „Volksgemeinschaft“, also die Chance für diejenigen, die sich in prekären Lagen befanden, ein Angebot der Zugehörigkeit und Teilhabe am neuen Aufschwung der Nation zu erhalten. Die Einteilung in Zugehörige und Nicht-Zugehörige suggerierte soziale Aufstiegsmöglichkeiten verteilt nach rassistischen Merkmalen.

 

Max Hahn stand auf der Seite des liberalen Bürgertums, dass die Politik des parlamentarischen Reiches dominierte. Er war nicht nur mit Bruder Nathan und Gräfenberg und seinem Familiennotar und Rechtsanwalt Föge ( Abgeordneter der DDP) u.a. an dem liberalen Verlagshaus Hofer beteiligt, sondern prägte auch dessen Ausrichtung, insbesondere der „Göttinger Zeitung“. Sehr oft schrieb er das Protokoll der Gesellschafterversammlung und gestaltete die Diskussion um die Ausrichtung des Blattes mit der größten Auflage in Göttingen.

 

Aber auch in den intellektuellen Kreisen lies er sich sehen, unterstützt von seiner aus Halberstadt stammenden Ehefrau Gertrud. Die beiden waren begeisterte Unterstützer des  deutsch-jüdischen  Idealismus und dessen geistigen Vaters Moritz Lazarus, gerade in Bezug auf die von Antisemiten aufgeworfene Fragestellung nach der Zugehörigkeit der Jüdinnen und Juden zur deutschen Nation. Mit der Gründung einer Göttinger Session der Moritz-Lazarus-Loge und dem Vorsitz von Gertrud Hahn als langjährige Vorsitzende des Schwesternbundes positionierten sich die Eheleute Hahn öffentlich für die harmonische Einheit von Deutschtum und Judentum. Damit setzten sie sich aber auch der gesellschaftlichen Anfeindung aus, dem Konkurrenzkampf der völkisch-nationalen  und sozialliberalen Bewegung, die die Weimarer Zeit  prägte. Max schreckte vor keiner Auseinandersetzung zurück und wollte das neue Deutschland mit gestalten.

HINTERGRUND 

 

Der Emanzipation der jüdische Geschäfte im 19. und 20. Jahrhundert stand nichts im Weg. Vielmehr führte die Innovationskraft der Kaufleute, Händler , Gerber, Lederfabrikaten, Schuh- und Handschuhfabrikanten, Riemenherstellern und Sattlern in technischer Hinsicht, Vertrieb  und Kapitalbildung und deren Einsatz in Fortschritt über die zwanziger Jahre zu  hoher Prosperität. 

 

ANTISEMITISMUS

Die Antisemitismen der Zeit erreichten aber immer größere Wirkung in der Unterdrückung jüdischenn Unternehmertums. Die "Arisierung" war das Ergebnis  der völkischen Ideologie der rassistischen Ausgrenzung und der unsoliden Staatsfinanzen. Das 3. Reich zwischen 1933 und 1945 hatte einen extrem hohen Finanzbedarf und bediente sich staatlicher Raubzüge. Die "Arisierung" vernichtete langsam die jüdischen Unternehmerschaft oder trieb sie außer Landes. Doch die Firmen , die nicht geschlossen oder vertrieben wurden, kamen in die Hände von nichtjüdischen Unternehmern, die die Produkte , Vertriebswege, Markenzeichen  und idellen Ideen profitabel weiterbetrieben. Sie profitierten von der innovativen Kraft der vorherigen Besitzer. Das war keine Wettbewerbsverzerrung , sondern eine staatlich sanktionierte Vorteilsnahme für Nichtjuden bei gleichzeitiger Vernichtung der Konkurrenten.

Mode in den 1920igern

In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts begann die Werbewirtschaft mit der Idee eines Marketings nach Modeaspekten. Der vorrangige Distributionsmechanismus war die Bedarfserfüllung durch Bestellung und nachgeschaltete Produktion. In der Aufbruchszeit zwischen den Weltkriegen waren die Märkte sehr instabil. Zu viele Einflüsse, auch staatlicher Seite waren maßgebend für  Aufträge und Nachfrage. Innovation war gefragt. Die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts brauchte einen neuen Ansatz der Produktionsmittel, Produktion und Absatzförderung. Mode war das neue Schlagwort. So bildete der Handel und die Industrie  einen „Modeausschuss“ und versuchte damit die vielfältigen Entwicklungen begleiten oder sogar steuern zu können. Die Industrieverbände und Handwerks- und Handelsverbände und Stände standen dem zögernd gegenüber. Doch aus den USA kamen neue Signale der Marktentwicklung: Werbung , Markenzeichen, Konsumverhalten steuern. Diese innovativen Ansätze halfen zunächst nur der industriellen Produktion. Aus der Schuhbestellung auf Nachfrage wurde das breit gefächerte modische Angebot des Kartonschuhs in Schuhläden.

 

Gerade die Schuhindustrie stand im Fokus zwischen Massenbedarfsbefriedigung und Ausstattungsinteressen des Staates, z.B. des Militärs. Leder wurde zum systemischen Bedarfsartikel und der Handel und die Verarbeitung liefen  Gefahr syndikalistischer  Steuerung. Es war aber auch zugleich ein Markt der Innovation durch die Entwicklung von Markenprodukten, modischer Vielfalt und neuen Distributionsformen. Durch die Errichtung von Marken Schuhläden und Schuhabteilungen  in den überwiegend jüdischen Kaufhäusern  entstanden ca. 170.000 Stellen für Schuhverkäuferinnen.

Logo von Karl Schulpig, Berlin

Das LOGO. Die urheberrechtliche graphische Herkunft der Schutzmarke, wie es damals noch heißt, ist noch nicht gefunden, aber die stilistische Nähe zu den kubistisch,schwarz/weißen Logos von Karl Schulpig aus Berlin ist schon augenscheinlich. Das Logo der Schutzmarke GALLUS erfüllt genau diese Kriterien und hat deshalb schon 1926 das Potenzial zur Kultmarke, oder wie Deichmann  als Markeninhaber ab 2005 sagt, ist eine Traditionsmarke. Der rennende Hahn in Stiefeln im begrenzenden Kreis mit einer reduziert gebrochenen Schrift symbolisiert den fleißigen mobilen und modernen Menschen und macht den männlichen Träger dieser Schuhe zum erfolgreichen  Bürger. So sahen sich auch die Hahns als eine erfolgreiche deutsche Familie im Dienst der Familie, der Stadt und des Staates. Besonders ihre Firmenchronik zum 75. Bestehen ihrer Unternehmen atmet diesen Geist,bei aller Sorge um die instabilen Verhältnisse.

Schuhleistenfabrik FAGUSWERK Alfeld 

Der Leisten ist ein Formstück aus Holz, Kunststoff oder Metall, das der Form eines Fußes nachempfunden ist und zum Bau eines Schuhs verwendet wird. Handwerker, welche Leisten herstellten, wurden als Leistenschneider bezeichnet. Schon am 8.821 teilt die von Hahn kreditierte Schuhfabrik Suchfort der Baubehörde den Einzug von 24 Schuhfabikationsmaschinen und 8 Nähmaschine für 40-50 Arbeitsplätzen in die Weenderlandstrasse 59 mit. Die Schuhfabrik Hahn nimmt Fahrt auf, die Farguswerke im nahen Alfeld als modernster Hersteller von Schuh-Leisten werden Geschäftspartner und die Schuhproduktion beginnt.

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